„Die Pandemie hat uns klar gemacht, wie wichtig es ist, füreinander da zu sein“
Nina Deißler ist Beziehungs-Coachin für Singles aus Hamburg. Mit einer Erfolgsquote von 80% überführt sie auch Dating-Vermeider und Bindungs-Härtefälle innerhalb eines Jahres in neue Partnerschaften. Manuel Tolle macht mit seiner neu gedachten Dating-App only one den digitalen Weg für ernst gemeinte Beziehungen frei und setzt Multichats und Oberflächlichkeit ein Ende. Im gemeinsamen Gespräch beleuchten die Single-Coachin und der Dating-Experte aus Hamburg aktuelle Dating Trends. Denn: Corona lässt Singles umdenken. Beliebig viele Dates sind out, gilt es doch im Sinne von Social Distancing, die Kontakte auf ein Minimum zu be- schränken. Das stellt Flirtwillige vor Herausforderungen. Wie hat Corona also das Datingverhalten verändert? Ein Gespräch über Einsamkeit und Conscious Dating.
Manuel: Hallo Nina! Erzähl mal: Was sind seit Corona die häufigsten Fragestellungen, die Du mit Partnersuchenden in Deinen Kursen abklärst?
Nina: Viele Menschen erzählen mir, dass durch die Einschränkungen viele ihrer sozialen Kontakte nahezu „aufgelöst“ sind und dass es jetzt – mit Abstand und Maskenpflicht – kaum noch möglich ist, Menschen kennenzulernen. Aber auch, dass die unterschiedlichen Meinungen zu Corona und den Maßnahmen noch deutlicher dazu führen, dass man beim Online Dating schneller merkt, wer ähnlich tickt, wie man selbst.
Manuel: Welchen Ängsten sehen sich Singles gegenüber?
Nina: Viele Singles fühlen sich jetzt einsamer als vorher und so tritt der Wunsch nach einer Partnerschaft und der Gedanke, die eigenen Hürden und Themen zu lösen, stärker in den Vordergrund. Wer sich schon ohne Maske und Abstand im Alltag schwer damit getan hat, auf andere zuzugehen oder Interesse zu zeigen, der ist jetzt quasi komplett verloren. Seit Corona haben wir auch deutlich mehr Anfragen. Deshalb setzen wir verstärkt darauf, Singles auch per Online-Workshops Möglichkeiten zur Interaktion zu geben – quasi eine Mischung aus Workshop und Speed Dating.
Manuel: Also eine Art Online Dating mit professioneller Unterstützung. Toller Ansatz! Zum Thema Einsamkeit und Mindshift haben wir ähnliches Feedback über eine Online- Umfrage erhalten: 68% der befragten Frauen und Männer bestätigen, dass durch Corona authentische Begegnungen mit anderen Menschen noch wichtiger geworden sind. Aufrichtiges Interesse an ihrer Person ist ihnen wichtig. Auch die Werte in Bezug auf Liebe und Partnerschaft haben sich verändert: Die wenigsten sind scharf auf einen One-Night-Stand. Vielmehr haben sich 41% der Singles nach den ersten Corona-Monaten einsam gefühlt und die Situation als belastend beschrieben.
Nina: Du hast only one im Mai 2020 und damit zu den ersten Kontaktbeschränkungen gelauncht. Hattest Du einfach die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt? Meinst Du ihr wärt auch ohne Corona so erfolgreich?
Manuel: Ja, das ist Zufall. Wir waren uns nicht sicher, ob unser Konzept, nur eine Verbindung zwischen zwei Menschen zulassen, auch tatsächlich aufgeht. Und dann kam Corona. Die Kontaktbeschränkungen und das Einfrieren des öffentlichen Lebens hat das Socializen ins Digitale verlagert und die Sehnsucht nach ernstgemeinten und län- gerfristigen Gesprächen verstärkt. Dass only one einen Nerv trifft, hat sich gezeigt, als wir nach drei Monaten schon 25.000 Nutzer hatten.
Nina: Ja, das zeigt sich auch bei meinen Coachees. Die Pandemie hat uns klar ge- macht, wie wichtig es ist, füreinander da zu sein. Und wer sich einsam fühlt, greift auch mal zu digitalen Möglichkeiten. Denkst Du, dass auch unabhängig von Corona der Zeitpunkt reif für eine App-Alternative war, die den digitalen Weg für die ernstgemeinte Suche einer Partnerschaft frei räumt?
Manuel: Definitiv. Matches sammeln ist eine Zeit lang aufregend, aber wenn Du zum 15. Mal dieselben Fragen und Antworten eintippst, vergeht Dir der Spaß und Frust macht sich breit. Insbesondere ältere Zielgruppen haben keine Lust mehr auf Heiß- und Kalt-Spielchen. Allerdings fällt Vielen das Online-Flirten nicht so leicht. Da ist so eine Art natürliche Hemmschwelle, die man beim Tippen überwinden muss. Worte wollen überlegt sein, schließlich lassen sie sich nicht mehr aus dem Chat löschen.
Nina: Da gehe ich mit. Ein Flirt ist ja zunächst nur eine Begegnung und der Ausgang ist ungewiss. Genau das macht den Flirt zum Flirt – dass keine feste Absicht dahinter steckt. Beim Online Dating gelten andere „Regeln“. In der realen Welt sind es oft flüchtige Eindrücke, die unsere Aufmerksamkeit erregen, ein Lächeln, ein Wort… mit relativ wenig „handfester Information“ finden wir jemanden attraktiv und beginnen eine Interaktion. Dagegen ist Online Dating bis dato eher wie Online Shopping: Wir wählen und vergleichen Informationen aus einer Vielzahl von Angeboten und hoffen auf eine Zufriedenheitsgarantie. Eine App wie only one könnte hier womöglich tatsächlich ein wohltuendes Gegenbeispiel sein. Wie bist Du denn an das Thema und die App ran- gegangen?
Manuel: Wir haben uns die Nutzerzufriedenheit von Dating Apps angeschaut. Die Zielgruppe ist breiter und diverser geworden. Waren es zu Beginn der 2000er die 40-Jährigen, die Datingportale für sich entdeckt haben, loggen sich heute Erwachsene aller Altersklassen zum Flirten ein. Auch 50+ setzt verstärkt auf Dating-Apps. Allerdings zeigt eine Umfrage, dass lediglich ein Drittel der befragten Frauen und Männer mit dem Dating-Angebot zufrieden sind. Die Mehrheit würde gern zu einer mehr natürlichen Art des Online Datings zurückkehren.
Nina: Inwiefern kann Online Dating natürlich sein bzw. wann verliert Online Dating an Natürlichkeit?
Manuel: Sobald es nicht mehr darum geht, jemanden kennenzulernen, sondern in einer persönlichen Challenge ausartet, bei der möglichst viele Matches gesammelt und Gespräche angestoßen werden, nimmt es eine unnatürliche Haltung ein.
Nina: Ja, offline würden wir uns auch niemals 10 potenzielle PartnerInnen gleich- zeitig warmhalten. Was steckt aus Deiner Sicht dahinter?
Manuel: Exakt. Also eine Unart, die ich an mir selbst beobachtet habe, ist diese Sorge, jemanden zu verpassen. Bei herkömmlichen Dating-Apps war ich bei einem neuen Kontaktvorschlag jedes Mal versucht, auch mit Person B in Kontakt zu treten – unabhängig davon, wie gut das Gespräch mit Person A bereits läuft. Dabei würde ich im realen Leben keine zweite Person ansprechen, wenn ich bereits jemanden ernsthaft date. FreundInnen berichteten von ähnlichen Erfahrungen. Keiner legt sich fest, keiner lässt sich wirklich auf jemanden ein. Also swipen wir weiter. Viele vergessen beim Online Dating, dass auf der anderen Seite des Bildschirmes potenzielle PartnerInnen sitzen, die wir mit diesem oberflächlichen, uncharmanten Verhalten vergraulen. Wie ist das bei dir, Nina? Begegnet dir die Fear of Missing Out (FOMO) häufig? Seit der Pandemie häufiger oder haben Deine Coachees keine Lust mehr darauf?
Nina: Ja, tatsächlich ist das ein Thema. Viel Auswahl suggeriert: „Da könnte noch was Besseres kommen“. Seit den Beschränkungen durch Corona bemerke ich allerdings auch, dass gerade Frauen in den 30ern eher Angst haben, dass sie Zeit verlieren: Auch wer eine Familie gründen will, möchte nicht den nächstbesten nehmen und sich beeilen müssen. Es soll Zeit für Kennenlernen und Romantik geben, doch die Uhr tickt. Das macht gerade den Menschen besonders viel Druck, die eh schon glauben, „spät dran“ zu sein. Im Gegenzug dazu und basierend auf deinen Umfragen: Würdest Du sagen, es findet eine Entschleunigung im Online Dating statt?
Manuel: Absolut. Alleinstehende wollen nicht mehr aus einer Unsicherheit heraus oder der Angst vor dem Single-Dasein online daten. Und sie wollen nicht (mehr) Hunderte daten. Conscious Online Dating ist die neue Devise. Dabei gehen wir von unserem Innersten aus, wollen erzählen, wer wir wirklich sind und warum wir wollen, was wir wollen. Wir sind auf der Suche nach Authentizität, Intimität und einer echten Verbindung. Das Chatten und Verabreden mit zahllosen Dates funktioniert dabei in umgekehrter Richtung: Es dominieren zumeist Oberflächlichkeit und der äußere Schein einer Person, für mehr Tiefe bleibt keine Zeit. An dieser Stelle beschleunigt Corona den Trend: Social Distancing lässt Partnersuchende wieder tiefsinniger und romantischer werden. Wir erzählen uns mehr von den Dingen, die uns wirklich beschäftigen. Wir schreiben online ein paar Tage länger, bevor es zum ersten Treffen kommt. Wir gehen lieber spazieren und verabreden uns auf ein Picknick, als uns mit Maske in eine Schlange vor dem Restaurant anzustellen. Ich denke, jetzt ist der beste Zeitpunkt, um sich neu zu verlieben, was meinst Du?
Nina: Wir behaupten ja immer wieder, dass innere Werte wichtiger seien – doch rea- gieren wir als erstes und am stärksten auf Äußerlichkeiten und Oberflächliches. Das ist ganz normal, der Ansatz von Dating-Apps basierend auf Fotovorschlägen daher nicht verwerflich. Die menschliche Psyche ist allerdings tatsächlich nicht dafür gemacht, mit einem Überangebot an Informationen und Auswahlmöglichkeiten konfrontiert zu sein. Unser Gehirn geht dann tatsächlich in eine Art „Shopping Modus” – wir nehmen nicht mehr wahr, dass es sich um echte Menschen handelt. Sich Kennenlernen ist ein Prozess und nicht ein „hop oder top” Prinzip, wie bei einem Paar Schuhe, das man sich bestellt hat. Slow Dating empfinde ich deshalb als sehr wohltuend, weil man das bekommt, was sich viele Menschen momentan wünschen: Echten Kontakt und Austausch mit einer anderen Person.
Manuel: Was ist Dein Tipp für ein Date in Zeiten der Pandemie?
Nina: Eine schrittweise Annäherung habe ich bereits vor Corona empfohlen und jetzt macht sie umso mehr Sinn: Vereinbare ein erstes Date per Video-Chat. Achte auf gutes Licht und verabrede Dich auf eine virtuelle Tasse Kaffee oder ein Abendessen. So er- hält man einen ersten Eindruck, ohne allzu viel Aufwand. Überlege Dir vorher ein paar interessante Themen und Fragen, um die Werte Deines Gegenübers besser zu verstehen und einander näher zu kommen. Manuel, was ist Dein Profi-Tipp für’s Online Dating?
Manuel: Entspannt bleiben, und aus dem Bauchgefühl heraus schreiben. Ein lustiger Fail des Tages, das Highlight der Woche oder ein Gedanke beim Autofahren durch die Stadt. Interessierte Gegenfragen stellen, die über das simple „und wie geht es dir heute?“ hinausgehen. Sensibilität zeigen – über Worte, oder indem man auch mal von einer Schwäche erzählt, die einen vielleicht erst kürzlich in eine unangenehme Situa- tion gebracht hat. Das macht Dich nahbar und vermittelt Deinem Gegenüber Einblicke in deine Persönlichkeit. – Danke dir für den Austausch, Nina! Es war mir eine Freude.
Nina: Danke Dir ebenso!