Die klugen Knochenleser

Drei Wiener wollen die Diagnostik von Knochen- & Gelenkerkrankungen grundlegend verbessern. Ihr Scale-Up ImageBiopsy Lab ist mit Zulassungen für Europa und die USA bereits fünf Jahre nach Gründung der weltweit führende Anbieter in der KI-basierten Analyse von Röntgenbildern des Bewegungsapparats. Mehr als 50 Krankenhäuser und 300 Radiologen setzen bereits auf die Lösung. Im Rahmen der Entwicklung entstand ein beachtlicher Validierungs-Datensatz: Mehr als 10 Millionen radiologische Aufnahmen aus fünf Ländern flossen in die Entwicklung der Algorithmen ein. Neben namhaften Risikokapitalgebern wie APEX Ventures und dem aws Gründerfonds wurde das Scale-Up auch von der Wiener Wirtschaftsagentur (WAW), dem INiTS Startup Inkubator sowie der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) mit bisher knapp 5 Millionen Euro unterstützt. Alle sechs Monate wollen die Pioniere neue Anwendungen herausbringen. Im nächsten Schritt folgen Lösungen für die Computertomographie (CT) und die Magnetresonanztomographie (MRT).

Die radiologische Befundung ist bis heute eine Blackbox, die wie ein Relikt aus der Zeit unserer Großeltern wirkt. Diagnostische Einschätzungen und damit mögliche operative Eingriffe, basieren vor allem auf Erfahrung und Tagesform des medizinischen Personals. Für vergleichbare Diagnosen oder die Dokumentation existieren in der Hektik des klinischen Alltags unzureichende bis keine Standards. „Die Radiologie steckt in Punkto Befundung nach wie vor im letzten Jahrhundert fest. Da gibt es enormen Aufholbedarf“, sagt Richard Ljuhar, dessen Vater Davul Ljuhar bereits 1992 die Knochendichtemessung der Osteoporose als erster in Europa zum Standard machte. Sohn Richard setzt dieses Lebenswerk nun global fort. Nach seiner Doktorarbeit forschte er an Softwareanwendungen, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) aus Röntgenbildern Informationen aus dem Inneren der Knochen lesen – quasi eine nichtinvasive Biopsie, die auch Namensgeber wurde: Image Biopsy. Vater Davul, 67 und Pate der Idee, ist selbst im Beirat aktiv und hält nach wie vor Anteile am Unternehmen. „Ich bin stolz zu sehen, wie die junge Generation bildgebende Verfahren endgültig in die Zukunft führt“, so Davul Ljuhar.

Objektive und sichere Befunde

Und da bleibt noch viel zu tun. Manuelle Befundungen von Krankheitsbildern des Bewegungsapparates, wie zum Beispiel der Knie-Arthrose, liegen oft weit auseinander. Das kann so weit gehen, dass bei nur 30% der Diagnosen eine eindeutige Übereinstimmung vorliegt. Ein unverhältnismäßig niedriger Wert, der nichts anderes bedeutet, als dass mehr als zwei Drittel der Fachärzte zu anderen Einschätzungen in Punkto Schweregrad und Verlauf gelangen und einen anderen Behandlungsweg einschlagen. Eine Fehlerquelle, die eine Behandlung und das Leiden des Patienten unnötig verlängert. „Unsere in Zusammenarbeit mit Fachärzten aufgebaute KI-gestützte Softwareplattform ist eine effiziente Möglichkeit, um die komplexe Diagnostik der muskuloskelettalen Radiologie, Orthopädie und Traumatologie zu unterstützen“, so Christoph Götz, Co-Founder und COO von ImageBiopsy Lab.

 Entlastung des Gesundheitswesens

Neben der diagnostischen Absicherung des Patienten liegt das größte Potential jedoch in der Entlastung des Gesundheitssystems. Gerade COVID hat die Dringlichkeit für verbesserte Arbeitsbedingungen von medizinischem Personal aufgezeigt. Dabei nehmen automatisierte Routinen und Dokumentationen einen hohen Stellenwert ein – und schaffen damit Raum für die Akutversorgung der Patienten sowie persönliche Gespräche. Die Bedeutung effizienterer und sicherer Prozesse und der Einsatz von Entscheidungsunterstützungssystemen, wie das von ImageBiopsy Lab, werden in Zukunft deutlich zunehmen. Die Ursachen liegen im stetig zunehmenden Kostendruck und einer wachsenden Anzahl von Patienten, bei einer viel langsamer steigenden Zahl des medizinischen Fachpersonals. Bereits heute kommt es vor, dass Mediziner weder die erforderliche Zeit für das Interpretieren von Röntgenaufnahmen noch ausreichend Kapazitäten für Patientengespräche haben. “Eine optimale diagnostische Grundlage für die Entscheidung einer Behandlung kann somit nur bedingt sichergestellt werden“, erklärt Richard Ljuhar.  

Digitalisierung der Befundabläufe

Im Zeitalter von Netflix und iPhone hat sich ImageBiopsy Lab zum Ziel gesetzt, die radiologisch-orthopädische Befundung von Bildaufnahme bis Befunderstellung durchgehend zu digitalisieren. Richard Ljuhar: „Unsere Plattform ermöglicht eine präzisere Diagnostik in Echtzeit, ohne bestehende Arbeitsabläufe zu verändern.“ Dies bedeutet, dass die rein manuelle Messung und Beurteilung von radiologischen Parametern des Bewegungsapparates nicht mehr erforderlich ist. Die Software ist zu 100% wiederholgenau”, so Ljuhar.

Fälle nehmen stetig zu

Beschwerden des Bewegungsapparates und der Gelenke sind auf dem Vormarsch. Zwischen 2010 und 2018 hat sich die Anzahl durchgeführter bildgebender Verfahren mehr als verdreifacht. Erkrankungen wie die Knie-Arthrose (Gonarthrose) oder die Arthrose der Hüfte (Coxarthrose) betreffen weltweit hunderte Millionen Patienten und toppen damit die Fallzahlen von Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen. Allein die Arthrose-Fallzahlen haben sich in den letzten zehn Jahren um 33% ausgeweitet und sind damit die am schnellsten wachsende Ursache für Einschränkungen des Bewegungsapparats weltweit. Eine alternde Gesellschaft, zu wenig Bewegung sowie damit einhergehendes Übergewicht, lassen die Zahl von Betroffenen weiter ansteigen. „Der Markt für digitale Analysen von Röntgenbildern der Gelenke wächst zweistellig“, so Götz.

Von Anwendern mitentwickelt 

ImageBiopsy Lab wurde als ein unabhängiges Projektteam der Wiener High Tech Schmiede Braincon Technologies gegründet. Dort wurden die ersten Produktideen zusammen mit namhaften Ärzten aus der Osteologie sowie Orthopädie entworfen, dazu zählen Partner wie die Donau-Universität Krems, die medizinische Universität Graz oder etwa das orthopädische Spital Speising. Die Motivation des Firmengründers Davul Ljuhar, Vater von Richard Ljuhar, war es, anhand von hoch sensitiven Software-Algorithmen eine Aussage über die Gesundheit eines Knochens zu liefern. Die Vision, die Befundung und Vorhersage von Knochenkrankheiten grundlegend zu verbessern, ist seit jeher das Leitbild des Gründerteams.

Große Ambitionen des Wiener Scale-Up

Dem großen Bedarf und dem hohen Innovationsgrad der Produkte entsprechend, ist das Wiener Scale-up sehr erfolgreich. Schon heute, fünf Jahre nach der Gründung 2016, ist ImageBiopsy Lab der führende Anbieter für KI-unterstützte Analyse in der muskuloskelettalen bzw. orthopädischen-Bildgebung (MSK). Vorhandene Software-Module sind bereits für den europäischen Markt und zu Teilen auch für den US-Markt zugelassen. Bis zum dritten Quartal 2022 folgen eine Reihe weiterer US-Medizinproduktezulassungen, sodass der erfolgreiche Markteintritt in den USA weiter ausgebaut werden kann. „Wir erwarten einen weiteren kräftigen Wachstumsschub. Der US-Markt ist sehr offen und höchst attraktiv für KI-Lösungen in der Medizin“, so Ljuhar. Der Fokus der ersten Produktversionen liegt aufgrund der hohen Fallzahlen auf 2D-Röntgenbildern der täglichen klinischen Routine. Die bisherigen Softwaremodule heißen HIPPO, LAMA, KOALA, PANDA und stehen für jeweils eine spezifische Körperregion bzw. Gelenke. Die Plattform für Endkunden der KI-Anwendungen wurde in Anlehnung der Tiernamen IBLAB ZOO getauft. Doch die ersten vier Produkte, die in elf Ländern in 50 Krankenhäusern und 60 Praxen im Einsatz sind, markieren nur den Anfang. „Wir haben 14 medizinische 2D- und 3D-Anwendungsfälle identifiziert, die wir bis 2025 auf den Markt bringen möchten“, ergänzt Ljuhar. Das überzeugte auch die Investoren: Aktuell schließen die Gründer eine weitere Finanzierungsrunde bei namhaften VCs ab. Die Teamstärke von 33 soll sich bis Ende 2022 auf 50 erhöhen.

 

Das Gründer-Team von ImageBiopsy Lab:

Dr. Richard Ljuhar – Geschäftsführer

Nach dem Studium an der Technischen Universität Wien sammelte er internationale Erfahrung (USA, China) bei einem der weltweit führenden Hersteller von radiologischen Diagnosesystemen für Knochenerkrankungen. Nach seiner Rückkehr nach Österreich übernahm Richard Ljuhar bei Braincon Technologies den Bereich Forschung & Entwicklung und hat damit die Basis für die Gründung des Unternehmens gelegt.

Christoph Götz, MSc – Leitung operatives Geschäft undProduktentwicklung

Die Deep Learning Ansätze in den IBLAB Produkten sowie die Produktstrategie entwickelte Christoph Götz, dessen wissenschaftlicher Hintergrund in der Neurowissenschaft und Bildverarbeitung liegt (Universität Erlangen). Götz wurde in einem der besten akademischen Startup-Inkubatoren weltweit (INiTS) aufgenommen, um seine Fähigkeiten im Bereich Entrepreneurship zu entwickeln. Durch sein Interesse an Customer Development und Projektmanagement ist Christoph maßgeblich für die Produktentwicklungs- und Zertifizierungsprozesse innerhalb des Unternehmens verantwortlich.

Philip Meier, MSc – Leitung Vertrieb & Marketing

Philip Meier war zuvor High Potential bei Johnson & Johnson, wo er im chirurgischen Bereich des medizinischen Vertriebs tätig war. Während seines Studiums in Großbritannien und den USA widmete er sich Kommerzialisierungsstrategien in der Biologie und der Medizin. Bei ImageBiopsy Lab betreut Philip den internationalen Ausbau der Marketing- und Vertriebsaktivitäten und managt die Kommunikation zwischen Kunden und den Produkt Teams.