Der Pariser Sprachlern-Pionier Gymglish legt seinen NutzerInnen neue Worte in den Mund und ein Schmunzeln gleich dazu. Gymglish bettet die Lektionen von der ersten Minute an in einen kulturellen Kontext ein und spart nicht an landestypischem Humor. Der ausgeprägte Spaß- und Ironie-Faktor der Kurse soll die Einprägsamkeit erhöhen und zum Dranbleiben motivieren. Im Interview erzählt Gymglish-Mitgründer Benjamin Levy von den Eigenheiten des französischen Humors, worin die Deutschen Weltmeister sind und warum Lernen und Lachen zusammengehören.
Gibt es den berüchtigten französischen Humor?
Benjamin Levy (BL): „Es gibt diese Vorstellung, dass der französische Humor einen besonderen Charakter hat. In Frankreich gibt es eine lange Tradition der Komödie – vor allem im Theater. Wir amüsieren uns gerne über banale Situationen und haben keine Angst, uns über Menschen oder Dinge lustig zu machen. Außerdem lieben Viele ruppige Erwachsenenwitze. Das gilt aber nie für alle und der französische Humor hat viele Facetten. Es ist eher ein kulturelles Gefühl. Wenn ich mich auf die offensichtlichsten Bestandteile und Einflüsse des französischen Humors festlegen müsste, würde ich sagen, er ist ein Spiegelbild seiner Gesellschaft und Bevölkerung. Das meint eine Mischung verschiedener kultureller Einflüsse, einschließlich der lateinischen/mediterranen Fähigkeit, über viele Dinge laut zu lachen, der nordeuropäischen/britischen Neigung zu Sarkasmus und Ironie, aber auch nordafrikanische Einflüsse mit einer ausgeprägten Leidenschaft für Spott und Hohn.“
Ist es ein Klischee, dass Französinnen und Franzosen keine Selbstironie vertragen?
BL: „Ja, dem französischen Humor mangelt es hin und wieder an der Fähigkeit, über sich selbst zu lachen. Selbstironie, wie von den Briten und Berlinern bekannt ist, ist in Frankreich nicht so beliebt. Hier eine kleine Anekdote aus unserem Marketing: Unser meistverkaufter Slogan für unseren Französischkurs Frantastique war lange Zeit „Arroganz kommt nicht über Nacht, sie braucht Übung. Lernen Sie Französisch“. Obwohl dieser Titel viele Klicks von unseren Online-BesucherInnen anlockte, baten uns einige unserer französischen Top-Medienpartner, ihn nicht mehr zu verwenden, weil er für sie nach ‚French bashing’ klang.“
Warum sind Humor und Kultur beim Sprachenlernen so wichtig?
BL: „Das Pauken von Grammatikübungen und Regelwerken sorgt nicht für ein ganzheitliches Verständnis einer Sprache. Ich glaube an einen pädagogischen Lernansatz, der auf Geschichten und Kontext baut. Kultur ist ein Aspekt, der einer Sprache inhärent ist und daher nicht ignoriert werden kann. Jemand, der wirklich daran interessiert ist, eine Sprache zu verinnerlichen, sollte am besten Spaß daran haben, etwas über die Musik, die kulinarischen Traditionen und die Bräuche der MuttersprachlerInnen eines Landes zu lernen. Und dabei spielt der Humor natürlich eine zentrale Rolle.“
Wie stellt Ihr den humoristischen Kontext in Euren Online-Kursen sicher?
BL: „Indem wir die Übungen in Geschichten und Alltagssituationen einbauen. In unserem Französischkurs „Frantastique“ werden die Lernenden zum Beispiel aufgefordert, einen französischen Bäcker zu verstehen, mit einem Kellner in einem Pariser Café zu kommunizieren oder die besten französischen Käsesorten kennenzulernen. In unseren Geschichten werden verschiedene Alltagssituationen aus dem Berufs- und Privatleben aufgegriffen – allesamt mit einer Prise Humor.“
Wer gehört zu Eurem humorvollen AutorInnenteam?
BL: „Unser Team besteht aus AutorInnen und RedakteurInnen, die einen Hintergrund oder Erfahrung in der Lehre haben, MuttersprachlerInnen der zu unterrichtenden Sprache sind und ihre Fähigkeiten im kreativen Schreiben in unseren Kursen ausdrücken. So ist das Team sehr vielfältig. Es besteht aus amerikanischen, britischen, französischen, deutschen, spanischen, kolumbianischen und italienischen Mitgliedern und der Prozess der Inhaltserstellung ist eine kollektive Arbeit von MuttersprachlerInnen und Nicht-MuttersprachlerInnen. Wir arbeiten nicht nach einem strengen Top-Down-Modell. Wir versuchen, alle Perspektiven und Lernniveaus zu berücksichtigen, um alle Bedürfnisse adäquat abzubilden. Lernende und Nicht-ExpertInnen haben ein gutes Gespür dafür, was schwierig, lustig, überraschend usw. ist – auch in Bezug auf ihre Ansichten über Stereotype und Witze, die sie über den Kulturraum der Sprache haben, die sie erlernen wollen. Folglich war ich an der Konzipierung unserer Englischkurse beteiligt und unsere englischen/ amerikanischen Teammitglieder halfen andererseits bei der Gestaltung der Französischkurse. Der kreative Kern besteht aus Andrew Arnon (US), Jim Sheppard (UK) und mir, den Hauptautoren von „The Word of the Mouth“, einem monatlichen News-Blog. Das Format kombiniert eine unserer Zeichnungen mit Wörtern, Definitionen, Beispielen und Ausdrücken von Mitgliedern des Gymglish-Kreativteams. Der Inhalt spiegelt die Tonalität und den zeichnerischen Ansatz sehr gut wider. An dieser Stelle ein kleiner Spoiler-Alarm: Wir planen derzeit die Veröffentlichung eines Buches aus dieser Serie.“
Wie würdest Du den Humor der Deutschen beschreiben? Welche Facette des Humors bekommt ihr in Euren Kursen besonders gut eingefangen?
BL: „Manche würden wohl sagen, dass die Deutschen keinen Sinn für Humor haben. Ich bin da anderer Meinung. Genau wie die Französinnen und Franzosen haben auch die Deutschen eine große Vielfalt an Subkulturen und Einflüssen. Sie können eine ganze Reihe von Humorformen abbilden – von Sarkasmus bis hin zum albernen Stil. Die Darstellung von Humor in unseren Kursen lässt sich nicht 1:1 einer kulturellen Gruppe zuordnen. Vielmehr stellen sie einen Querschnitt dar, genau wie unser Content-Creation-Team aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den USA. Fun Fact: Wir wissen, dass unsere deutschen NutzerInnen unsere -humoristischen- Kurse und unsere Inhalte lieben, was sich in besseren Teilnahmequoten widerspiegelt als bei Französinnen und Franzosen.“
Was sind lustige Eigenschaften von französischen Charakteren in Gymglish-Kursen?
BL: „In unserem Französischunterricht nutzen wir gerne französische Stereotype, um sie zu verspotten oder aufzubrechen. Wir treten Stereotypen und Vorurteilen offen gegenüber, wie z.B. der Baskenmütze, dem Baguette, dem Klischee, dass wir rauchen, uns nicht waschen, arrogant sind, der Vorstellung, dass Pariser rau sind, unhöflich, wie z.B. Kellner, die ständig ‚non‘ sagen, usw. usw. … Bei dieser Mission hilft uns ein alter Bekannter: Victor Hugo ist zum Beispiel eine der Figuren, die in unseren Französisch-Lernkursen immer wieder auftauchen.“
Frankreich ist bekannt für Asterix und Obelix. Haben Figuren wie sie die Gestaltung der humorvollen Kursinhalte von Gymglish beeinflusst?
BL: „Nicht wirklich, obwohl ich als Kind Asterix und Obelix mochte. Aber unsere Tradition für Comics/Cartoons und humoristische Zeichnungen mag Gymglish in der Tat dahingehend beeinflusst haben, dass wir schon immer lieber mit Zeichnungen und Animationen zur Veranschaulichung unserer Lektionen gearbeitet haben als mit Stockfotos und gedrehten Videos.“
Was sind lustige Eigenschaften von deutschen Charakteren in Gymglish-Kursen?
BL: „Sehr bezeichnend ist die Tatsache, dass die Deutschen für jede Lebenslage eigene Begriffe haben. Ich glaube, sie sind hier die heimlichen Weltmeister: Kindergarten, Zeitgeist, Weltschmerz, Schadenfreude, Poltergeist – um nur ein paar zu nennen. Außerdem nehmen wir immer wieder gerne Bezug auf die Automobilindustrie und Deutschland als Land der Ingenieure. Auch deutsche Erzählungen wie der Struwwelpeter oder die Märchen der Gebrüder Grimm bieten eine gute Vorlage, um Geschichten zu bauen. Und nicht zu vergessen, die Reiselust der Deutschen nach Spanien, die als dankbares Futter für viele lustige Geschichten dient, in denen Handtücher am Swimmingpool eine Rolle spielen.“
Hattest Du in der Schule humorvolle Lehrer?
BL: „Gar nicht. Die Schule war stinklangweilig, vor allem der Sprachunterricht. Da ging es nur um stumpfes Theoriepauken und Vokabeln lernen. Unsere Sprachlehrer (meist Franzosen übrigens) schafften es nicht, Inhalte zu emotionalisieren oder eine tiefere Neugierde für eine Sprache, ein Land oder eine Kultur zu wecken. Wenn man Glück hatte, wuchs sie intrinsisch oder die Welt außerhalb der Schule lieferte den richtigen Anreiz. Ich bin froh, dass mich mein Fernweh (noch so ein deutscher Begriff, hehe) zum Sprachenlernen gebracht hat.“
Was sind Deine und Antoines lustigsten Marotten?
BL: „In unserem früheren Büro wälzte sich Antoine jedes Mal auf dem Boden, wenn wir einen großen B2B-Auftrag eingesackt hatten oder allgemein, wenn es einen Peak gab, der zeigte, dass viele neue Sprachbegeisterte sich für Gymglish entschieden haben. Er ist zwar nicht Teil des Content-Teams, aber trotzdem fand das Team (mich eingeschlossen) das ziemlich witzig. Über mich sagt man, es sei amüsant (oder altmodisch), dass das erste, was ich in meinem neuen Büro installiert habe, eine kleine Minibar war. Ich stoße lieber auf jeden neuen Kunden an. Prost!“