Führerschein machen: Migranten und Expats haben schlechte Chancen

Ernüchternde Zahlen, deren Trend sich von Jahr zu Jahr weiter ausprägen: Fahrschüler, die ihre Prüfungen nicht auf Deutsch ablegen – und das sind jährlich immerhin fast 250.000 – schaffen es mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit, die vorbereitungsintensive Prüfung zu bestehen. Nicht selten muss die Hälfte der Schüler noch mal ran und dementsprechend tiefer in die Tasche greifen. Dabei ist der Führerschein oft erforderlich, um einen Job auszuüben – also ein wesentlicher Faktor beim Thema Teilhabe und Chancengleichheit. Das Passauer Startup Educatio Digitale Lernsysteme will helfen.

Neue Regeln und komplexere Rahmenbedingungen im Straßenverkehr legen die Messlatte für das erfolgreiche Bestehen der Theorie-Prüfung Jahr für Jahr höher. Laut einer aktuellen Statistik von TÜV/Dekra fielen fast 40% der Fahrschüler durch die Prüfung in deutscher Sprache. Noch um einiges bedenklicher sind die Zahlen bei jenen Prüfungen, die nicht auf Deutsch abgelegt werden: In beinahe allen zugelassenen Fremdsprachen liegt die Bestehensquote deutlich unter dem Durchschnitt.

Bedenkliche Durchfallquoten bei fremdsprachigen Theorie-Prüfungen

Anders als die praktische Fahrprüfung darf die Theorieprüfung auf 13 Sprachen abgelegt werden. Von den insgesamt 1,7 Millionen Prüfungen 2021 wurden immerhin 17 Prozent nicht auf Deutsch durchgeführt. Die häufigsten Fremdsprachen in der Theorieprüfung sind Hocharabisch (6,7%), Englisch (2,4%) und Türkisch (1,8%). Während englischsprachige Prüflinge nur knapp unter dem Durchschnitt liegen, weichen die Ergebnisse im Hocharabischen um etwa drei, im Türkischen um sechs Prozent nach unten ab. Besonders schlimm traf es jene Führerscheinanwärter, die eine Prüfung auf Italienisch, Kroatisch oder Griechisch angetreten haben. Sie kamen auf eine Durchfallquote von über 50%.

Klassische Lernmaterialien lassen Schüler im Stich

Die Gründe für die Schieflage sieht Gábor Faragó, Gründer von Educatio Digitale Lernsysteme, in der schlechten Verfügbarkeit geeigneter Lernmaterialien für Fremdsprachler. „Die Führerschein-Theorie wird immer anspruchsvoller. Um so wichtiger ist es, gute Programme anzubieten, die fundiertes Wissen bzw. Verkehrskultur vermitteln und alle offenen Fragen beantworten“, so Faragó. „Bisher stehen nur die übersetzten amtlichen Prüfungsfragen zur Vorbereitung bereit. Wenn Unterrichtsinhalte auf Grund der Sprachbarriere nicht verstanden worden sind, ist das deutlich zu wenig.“ Nur wenige Fahrschulen können den eigentlichen Theorieunterricht in Fremdsprachen anbieten, Schüler sind also darauf angewiesen, sich das Wissen selbst anzueignen. Auch die mangelhafte Digitalisierung der Ausbildung und starke Schwankungen bei der Qualität der Lernmaterialen machen es Schülern schwer, die Inhalte in der Tiefe zu erfassen. Reines Auswendiglernen reicht heute nicht mehr aus. Die Wiederholung der Prüfung kostet dann nicht nur Geld, sondern auch jede Menge Zeit – zwei Ressourcen, die Zugezogene belasten können und den Prozess erheblich verzögern.

Der Führerschein bedeutet Teilhabe

Das Angebot der fremdsprachigen Theorieprüfung nehmen vor allem jene Menschen in Anspruch, die erst vor kurzer Zeit nach Deutschland gekommen sind. Wo sich schon Muttersprachler nachweislich mit den Inhalten schwertun, wird der Unterricht, wenn nicht verständlich übersetzt oder vermittelt, für Migranten und Expats zum absoluten Spießrutenlauf. Doch gerade das frühe und erfolgreiche Bestehen der Führerscheinprüfung ist vor allem für Neuankömmlinge in Deutschland wichtig, um den Integrationsprozess, den Jobeinstieg und die gesellschaftliche Teilhabe zu erleichtern – unter den aktuellen Bestehensquoten kein leichtes Unterfangen.

Mit mehrsprachigem, digitalem Angebot zur Trendwende

Dieser Ungleichheit sagt das Passauer Startup Educatio Digitale Lernsysteme den Kampf an: Sein digitales Selbstlern-Programm Dreiv zur Unterstützung des Präsenzunterrichts hat es nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf vier Fremdsprachen (Englisch, Türkisch, Hocharabisch, Russisch) übersetzt. „Es war unser Ziel, unsere Plattform Dreiv gleich im ersten Jahr in so vielen Sprachen wie möglich anzubieten. Wir haben erst einmal die vier gefragtesten ausgewählt und wollen in Zukunft auch die restlichen acht zugelassenen Sprachen abbilden“, so Oliver Frey Geschäftsleiter von Educatio. Das Selbstlern-System vermittelt Inhalte durch interaktive Bild- und Videosegmente und ergänzt seine Erklärtexte um ein Lexikon in einfacher Sprache. Auch über den aktuellen amtlichen Rahmen hinaus will das EdTech-Team helfen: ein Angebot für ukrainische Geflüchtete ist bereits in der Pipeline und soll kostenlos online zur Verfügung gestellt werden.