„Ich habe mehr Zeit für mein Handwerk und kann mehr Menschen helfen!“

Viel gescholten und unterschätzt: Die Online-Versorgung mit Hilfsmitteln wie Einlagen und Bandagen wird in Deutschland von Verbänden und Innungen kritisch gesehen, während Versicherungen und Verbraucher:innen die Vorteile der Digitalisierung begrüßen. Marie Müller ist gelernte Orthopädiemechanikerin und Bandagistin. Nach 7 Jahren in der stationären Versorgung arbeitet sie seit Juni 2021 in der Werkstatt von meevo, dem Hilfsmittelversorger-Startup aus Hamburg. Die 29- Jährige spricht über ihr Handwerk, die Chancen der Digitalisierung und warum sich die Branche so schwer tut mit dem Wandel.

Hallo Marie! Was macht eine Orthopädiemechanikerin und Bandagistin genau?

Marie: In meinen Bereich fallen alle Formen der Hilfsmittelversorgung, also von der Gehhilfe über die Prothese und Orthese bis zur orthopädischen Schuheinlage. Mal muss ich ein Produkt neu anfertigen, mal nachbessern. Ich bearbeite verschiedenste Materialien und verwende dafür jeweils unterschiedliche Werkzeuge und Techniken. Das ist handwerklich einfach klasse, denn es fordert meine Fähigkeiten immer wieder neu heraus.

Wie kam es, dass Du Dich für dieses Handwerk entschieden hast?

Marie: Ich habe immer super gern gezeichnet und gebastelt und bin auch in meiner Freizeit gerne handwerklich aktiv. Schon als Jugendliche habe ich durch verschiedene Praktika gemerkt, dass mir Handwerksarbeiten einfach liegen. Entscheidend war da eine Erfahrung in einem Sanitätshaus in meiner Heimatstadt Hamburg: Ich habe dort ein Schnupperpraktikum gemacht und obwohl ich nur drei Tage da war, durfte ich direkt mit anpacken und etwas schaffen. Danach wusste ich: das ist es! Das ist mein Beruf! Seit 2013, also nach dem Abschluss meiner Ausbildung, war ich dann in verschiedenen Sanitätshäusern tätig.

Weshalb bist Du dann zu meevo gewechselt?

Marie: Ich probiere gerne Neues aus, es gibt schließlich viele verschiedene Sanitätshäuser und jedes ist ein bisschen anders. Mir ist es wichtig, Kund:innen in allen Lebenslagen eine qualitativ hochwertige Versorgung zu ermöglichen. Die richtigen Hilfsmittel können viel bewirken, aber oft kommen sie zu spät zum Einsatz. Ich habe mich immer gefragt: Es muss doch eine Alternative geben zu den Außendiensten?! Denn so gerne ich auch zu den Menschen gefahren bin – die langen Anfahrten hätte ich lieber für die Arbeit an einem Hilfsmittel genutzt. Mir hat dann der Online-Ansatz von meevo Healthcare besonders imponiert, weil das Konzept genau dort ansetzt. Kund:innen haben nicht immer die Zeit oder die Möglichkeit, einen Termin zu den regulären Öffnungszeiten wahrzunehmen.

Was an Deinem Beruf gefällt Dir am besten?

Marie: Am schönsten finde ich positives Feedback von Kund:innen, die sich über ein neues Lebensgefühl freuen. Manche sind hin und weg: „Endlich kann ich wieder schmerzfrei laufen!“ – Das ist wundervoll. Mich hat zum Beispiel einmal eine ältere Dame gefragt, ob sie mich umarmen dürfe. Das hat mich berührt. Ich habe mitgefühlt, weil ich die Leidensgeschichte kannte und dann den Weg der Besserung miterlebt habe.

Fällt die Kund:innennähe nun durch die Online-Versorgung weg?

Marie: Zum Glück nicht! Eher das Gegenteil ist der Fall. Als ich im Sanitätshaus oder im Außendienst gearbeitet habe, konnte ich die Person auch nicht immer sehen. Und wenn ich dann mal eine Nachfrage hatte oder Rückmeldung brauchte, konnte ich aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht ohne Weiteres den Kontakt aufnehmen. Durch den kurzen Draht, den wir durch Online-Termine haben, bin ich teilweise näher an den Kund:innen, als wenn ich sie auf dem klassischen Wege versorgt hätte.

Was ist aus Deiner Sicht die größte Herausforderung in Deinem Beruf?

Marie: Ganz klar – Die Kund:innen zufrieden zu stellen und in der jeweiligen Genesung zu unterstützen. Darum holt man auch so viele Daten wie möglich ein – über einen Abdruck, einen Anamnesebogen und natürlich auch im Gespräch. Es gibt Kund:innen, die kann man dann ganz einfach versorgen, weil sie klassische Beschwerden haben oder genau wissen, was sie wollen. Und dann gibt es eben auch mal schwierigere Fälle, die eine besonders sorgfältige Versorgung benötigen. Kinder oder Menschen mit gewissen Auffälligkeiten bzw. Krankheitsbildern, wie beispielsweise einem diabetischen Fuß, werden nicht über die Entfernung versorgt. In solchen Fällen ist immer die stationäre Versorgung vor Ort und eine fachärztliche Begutachtung notwendig.

Müssen bei der Online-Versorgung Abstriche bei der Qualität gemacht werden?

Marie: Diesen Schluss halte ich für falsch. Diese Befürchtung gibt es vielleicht, weil das Konzept verhältnismäßig jung ist. Da muss noch Vertrauen aufgebaut werden. Es ist doch so: Die Abläufe in meiner handwerklichen Arbeit sind identisch zu früher. Nur, dass ich unseren Kund:innen nicht täglich gegenüberstehe. Aber das habe ich auch früher nicht immer. Wenn ich im Außendienst für Praxen tätig war, haben vorab auch mal Ärzt:innen den Abdruck genommen und ich habe von dort aus weitergemacht. Und im Sanitätshaus haben oft Teammitglieder aus dem Verkauf Abdrücke genommen oder vermessen. Heute arbeiten wir dafür mit Beratungsgesprächen per Videotelefonie, mit deren Hilfe wir schnell und niedrigschwellig den Kontakt zu und das Feedback von den Kund:innen bekommen. Die anschließende Fertigung läuft jedoch immer gleich – es ist und bleibt ein Handwerk. Es ist die Erweiterung des Angebots auf die Online-Versorgung, die hier den Unterschied macht.

Für craftsoles nehmen Kund:innen ihren Abdruck selbst. Macht das für Deine Arbeit und vor allem für das Ergebnis einen Unterschied?

Marie: Meiner Erfahrung nach nicht. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass das Abdruckset idiotensicher ist. Kund:innen werden außerdem bei der Abdrucknahme angeleitet und haben die Möglichkeit, auch eine individuelle Beratung beispielsweise über Videocall wahrzunehmen. Früher habe ich viel mit Trittschaum-Kartons und Blauabdrücken gearbeitet und mit der 2D-Technik oft bessere Erfahrungen gemacht. Die Fußbewegung ist dabei natürlicher und das Ergebnis besser nachvollziehbar. Die feinen Details des Abdrucks erfassen wir dazu mit einer Software.

Wie genau läuft die Fertigung einer Einlage denn ab? Kannst Du uns die verschiedenen Schritte beschreiben?

Marie: Nachdem wir die Abdrucksets zurückerhalten haben, werden die Daten erst einmal aufgenommen und einer Qualitätssicherung unterzogen. Bei fehlenden oder unklaren Angaben setzen wir uns direkt mit den Kund:innen in Verbindung. Wenn ich dann eine Einlage erstelle, starte ich meine Arbeit am PC, wo ich mir die Abdrücke und den Anamnesebogen genau ansehe. Welche Auffälligkeiten gibt es und welche Schmerzpunkte? Was brauchen die Kund:innen und worauf muss ich besonders achten? Den Bedürfnissen der Kund:innen entsprechend suche ich die geeigneten Materialien zusammen und passe sie vorerst grob an. Danach verklebe ich sie dann auf einem Rohling. Erst wenn alles da sitzt, wo es soll, schleife ich nochmal ganz genau zu, bessere nach und dokumentiere die Fertigung. Beim Freigabeprozess arbeiten wir mit dem Vier-Augen-Prinzip. Bevor ich die Einlage also zum Versand rausgebe, wird die Versorgung nochmal von unseren Orthopädie(schuh)technik-Meister:innen kontrolliert.

Siehst Du die Digitalisierung als Chance?

Marie: Ja, absolut. Ich habe heute viel mehr Zeit für mein Handwerk, kann meine Erfahrung viel effektiver Einsetzen und mehr Menschen helfen. Zum einem, weil die Abdruckanalyse digital ist, zum anderen, weil der Versand und der Kund:innenkontakt effektiver ablaufen. In Zukunft geht viel in Richtung 3D-Drucker, aber jeder Mensch ist letztlich unterschiedlich und es kommt immer wieder vor, dass mal Kund:innen aus dem Rahmen fallen und individuell versorgt werden müssen. Deswegen wird es auch immer wieder Handanfertigungen geben müssen, denn es braucht dann eine Präzision und ein Feingefühl, die Maschinen und Roboter nicht ohne weiteres erlernen können. Bestimmt kann man Einzelschritte automatisieren, aber am Ende bleibt es meines Erachtens immer ein HANDwerk.

Nur etwa ein Drittel der Menschen, die eigentlich Einlagen benötigen, trägt auch tatsächlich welche. Was würdest Du jemandem mit auf den Weg geben, der bzw. die Einlagen wirklich gut gebrauchen könnte, aber sich noch keine besorgt hat?

Marie: Füße sind unser Fundament. Sobald da was nicht stimmt, kann sich das auf den ganzen Körper auswirken! Nicht nur Gangbeschwerden, auch Rücken- und sogar Kopfschmerzen können von den Füßen herrühren. Man denkt immer erst als allerletztes an den Fuß, vor allem bei Kopfschmerzen. Aber durch die Unterstützung und Korrektur der Gelenksachsen kann man erstaunlich viele Probleme angehen. Man kann sie nicht komplett beheben, aber zumindest die Beschwerden lindern und dafür sorgen, dass sie nicht schlimmer werden. Ich trage selbst Einlagen und könnte gar nicht mehr ohne, darum kann ich es nur jedem empfehlen, das mal abklären zu lassen und auszuprobieren.