„Oft finden wir in der Vergangenheit einer Marke den Schlüssel für ihre Zukunft“

Mitten in der Corona-Krise wagten Katrin Niesen und Maike Bischoff den Sprung in die Selbstständigkeit und gründeten Das Kreative Studio in Hamburg. Ihr Erfolgsrezept: Marken zu schaffen, die durch Authentizität, klare Botschaften und innovative Designs überzeugen. Im Interview erzählen die Gründerinnen, warum gutes Design mehr ist als Ästhetik, welche Rolle Künstliche Intelligenz spielt und wie sie sich als Frauen über 40 in der Agenturwelt behaupten.

Was macht gutes Design heute aus, damit Marken langfristig erfolgreich sind?

Katrin Niesen: Gutes Design denkt ganzheitlich. Es geht nicht nur um Ästhetik, sondern darum, den richtigen Hebel für die jeweilige Marke oder das Unternehmen zu finden – sei es durch ein Logo, ein Packaging, die interne Kommunikation oder digitale Nutzeroberflächen. Es sollte Marken Klarheit und Orientierung geben, damit sie fundierte Entscheidungen treffen können. Vor allem aber muss Design das Herz berühren. Wenn es den Kunden nicht begeistert, haben wir unseren Job nicht gemacht.

Maike Bischoff: Absolut. Gleichzeitig muss Design auch praktikabel sein. Besonders für KMUs ist es wichtig, dass sie die Gestaltung unabhängig nutzen können, ohne für jede kleine Anpassung eine Agentur zu beauftragen. Durchdachtes Design spart Zeit, Kosten und schafft langfristig Umsatz.

Was hat sich hier in den letzten 10-15 Jahren verändert?

Katrin Niesen: Ganz klar die Digitalisierung. Sie hat nicht nur die Kommunikation verändert, sondern auch die Art, wie Marken wahrgenommen werden. Künstliche Intelligenz (KI) stellt gerade vieles auf den Kopf: von Tools und Workflows bis hin zu Ästhetik und Urheberrechten.

Maike Bischoff: Und natürlich die Vielzahl der Touchpoints: Eine Marke muss heute überall funktionieren – der digitale Raum hat das Regal als zentrale Schnittstelle abgelöst. Gerade im FMCG-Bereich entscheidet sich in Sekunden, ob eine Marke wahrgenommen wird oder nicht. Handelsmarken sind längst mehr als günstige Alternativen: Sie setzen auf starkes Design und strategische Positionierung. Auch im Corporate Branding steigen die Anforderungen. Der Fachkräftemangel macht die Kommunikation komplexer, weil Marken nicht nur Kunden, sondern auch Mitarbeitende und Community überzeugen müssen. Wer sich nicht klar positioniert, verliert an Relevanz – und genau hier setzen wir an.

Stichwort KI: Heute werben ja viele Apps und Tools damit, Photoshop und Designer zu ersetzen. Was sagt Ihr dazu?

Katrin Niesen: Wenn du mit dem Ergebnis zufrieden bist: Why not? Für ein einfaches Logo eines Kleinunternehmens kann das eine gute Lösung sein. Ich vermute sogar, dass es inzwischen KI gibt, die rechtliche Prüfungen für solche Logos anbietet. Aber ein Logo ist nur ein Baustein in der Unternehmenskommunikation. Ob sie funktioniert, entscheidet sich an dem System, das dahinter liegt.

Maike Bischoff: Grafik allein ist aber nicht unsere Leistung. Wir bieten Orientierung – für die eigene Marke, innerhalb des Wettbewerbs und für die effiziente Implementierung. Auch die Mitarbeiter müssen ein Design verstehen und umsetzen können. Das beste Design hilft nichts, wenn die Marketing-Abteilung aus 1,5 Leuten besteht.

Setzt ihr auch KI ein?

Maike Bischoff: Natürlich! KI verbessert unsere Wettbewerbsfähigkeit. Sie erlaubt uns, Prozesse effizienter zu gestalten und repetitive Aufgaben schneller zu erledigen. KI ersetzt Kreativität und Kompetenz aber nicht, sondern schafft Freiraum und ergänzt.

Ihr arbeitet oft für Traditionsmarken und den Mittelstand. Was ist da anders als bei den Global-Brands?

Katrin Niesen: Inhaber gehen nicht nach ein bis zwei Jahren, sondern denken langfristig. Sie stehen oft persönlich hinter ihrem Unternehmen und handeln im Sinne ihrer Mitarbeiter. Diese Beständigkeit und authentische Verbundenheit mit der Unternehmensgeschichte erlaubt es, nachhaltige und emotionale Konzepte zu entwickeln. Gleichzeitig stehen mittelständische Unternehmen oft vor größeren Herausforderungen im Markenaufbau. Sie haben nicht die Ressourcen großer Konzerne, aber auch nicht die Agilität von Startups. Dazu kommt, dass sie sich mit etablierten Marken und gewachsenen Strukturen auseinandersetzen müssen. Der Schlüssel liegt darin, ihre Werte und Identität nicht nur zu bewahren, sondern so weiterzuentwickeln, dass sie auch in einer digitalen Welt Bestand haben. Eine starke Marke braucht Beständigkeit – aber auch die Fähigkeit, sich anzupassen.

Marken sollen einerseits zeitlos sein, andererseits aber auf Trends reagieren. Wie schafft man diesen Balanceakt?

Katrin Niesen: Marken, die sich nie verändern, sterben. Marken, die sich ständig verändern, verlieren sich. Die Kunst liegt im Balanceakt. Gerade in einer Welt, die sich durch Social Media immer schneller dreht, müssen Unternehmen ihren Markenkern schützen und gleichzeitig flexibel bleiben. Wenn die eigene Identität nicht klar definiert ist, führt das oft dazu, dass Unternehmen blind Trends hinterherlaufen. Unter Druck und unter Zugzwang gefährden Marken oft ihre Identität.

Maike Bischoff: Das sehen wir oft: Ein Wettbewerber hat Erfolg, also kopieren ihn andere – aber schlecht. Dabei wird übersehen, dass Erfolg nicht allein am Design liegt, sondern an einer konsistenten Strategie, die über alle Touchpoints hinweg funktioniert. Eine starke Marke resoniert mit ihrer Zielgruppe, bleibt über verschiedene Kanäle hinweg wiedererkennbar und verliert dabei nie ihre DNA.

Welche Philosophie steckt hinter Eurem Motto „Simplify – Amplify“? Wie setzt Ihr dieses Prinzip in eurer täglichen Arbeit um?

Katrin Niesen: Unser Ansatz ist es, Marken auf ihren Kern zurückzuführen. Wir graben tiefer, analysieren, sortieren und filtern heraus, was wirklich zählt – wie Archäologen, die freilegen, was eine Marke ursprünglich ausgemacht hat. Erst wenn wir das Fundament verstehen, können wir es strategisch weiterentwickeln. Neupositionierung bedeutet für uns nicht, etwas Neues überzustülpen, sondern aus den vorhandenen Werten eine tragfähige Markenidentität zu formen. Diese Klarheit ist entscheidend, um Marken langfristig erfolgreich zu machen.

Maike Bischoff: Gemeinsam gehen wir den Themen auf den Grund – immer mit ihrem Know-how und unserem Außenblick als Fachleute. Archivarbeit spielt dabei eine wichtige Rolle: Oft finden wir in der Vergangenheit einer Marke den Schlüssel für ihre Zukunft.

Was macht ihr, wenn Kunden beratungsresistent sind?

Katrin Niesen: Wir fragen uns zunächst, ob wir nicht gut kommuniziert haben oder ob Fragen offengeblieben sind. Beratungsresistente Kunden gibt es in dem Sinne nicht – oft haben sie einen guten Grund für ihre Entscheidung. Wenn wir mehr Potenzial sehen, versuchen wir, das anschaulich zu machen. Das ist oft sehr typabhängig: Manch einer braucht Zahlen oder Fakten, der nächste muss visuell eintauchen.

Hat Deutschland eine Vorliebe für schlichtere Designs?

Katrin Niesen: Die Zeiten, in denen regionale Stile klar voneinander zu unterscheiden waren, sind längst vorbei. Trotzdem gibt es Besonderheiten: Die Zielgruppen aus unserer Region z. B. legen großen Wert auf Transparenz und Verlässlichkeit. Qualitätssiegel oder detaillierte Informationen auf Verpackungen schaffen Vertrauen und werden geschätzt. Es geht weniger um auffällige Designs als um solche, die Sicherheit vermitteln.

Maike Bischoff: Deutschland hat definitiv eine Vorliebe für das Vertraute.

Trauen sich deutsche Entscheider manchmal zu wenig?

Katrin Niesen: Gute Entscheider wägen immer ab. Schwierig wird es, wenn es zu persönlich wird, wenn Konflikte vermieden werden oder es um individuelle Vorteile geht und nicht mehr das Unternehmen oder die Marke im Vordergrund stehen.

Maike Bischoff: Bei echten Entscheidungsträgern oder Markeninhabern habe ich das aber noch nie erlebt. Im Gegenteil, die haben so ein gutes Gefühl für ihren Markt und ihre Brand, dass das mit den recherchierten Fakten zusammen immer ein gutes Ergebnis ergibt.

Ihr habt bei der Peter Schmidt Group gearbeitet, einer der renommiertesten Agenturen Deutschlands. Wie hat Euch das geprägt, und was hat Euch motiviert, von einer Top-Agentur ins Abenteuer der Selbstständigkeit zu springen?

Katrin Niesen: Die Zeit bei der Peter Schmidt Group war intensiv und lehrreich. Wir haben dort die Möglichkeit gehabt, für einige der größten Marken zu arbeiten und eine sehr professionelle Herangehensweise an komplexe Projekte kennenzulernen. Dabei wurde uns auch klar, welche Strukturen zu uns passen – und welche nicht. Ich empfehle aber jedem, der sich in unserem Beruf selbstständig machen will, in einer großen Agentur Erfahrungen zu sammeln: So viele unterschiedliche Charaktere, so viele Perspektiven auf eine Marke – das prägt fachlich und zwischenmenschlich.

Maike Bischoff: In großen Agenturen gibt es für alles spezialisierte Teams – das macht Prozesse effizient, aber oft auch unflexibel. Wir wollten diesen strategischen Ansatz auf eine Weise nutzen, die für Mittelständler und Familienunternehmen praktikabel ist. Unser Ziel war es, die Werkzeuge der großen Markenwelt so zu übersetzen, dass auch kleinere Unternehmen sie anwenden können – mit weniger Overhead, aber genauso viel Klarheit und Wirkung.

Katrin, Du hast das Buch „Design Projekte gestalten“ geschrieben. Wie hat Dich die Erfahrung als Autorin geprägt, und welche Rolle es in Eurer Arbeit bei Das Kreative Studio?

Katrin Niesen: Das war eine ganz neue Arbeitserfahrung, bei der ich viel lernen durfte: Das Projekt „Buch“ bedeutete, dass ich dieses Vorhaben auch ein Stück weit für mich selbst strukturieren musste, um es in den Agenturalltag einzupassen. Ich habe dafür immer einen kompletten Tag pro Woche geblockt. Der Inhalt entspricht auch heute noch meiner und unserer Arbeitsweise, Projekte zu planen und zu strukturieren.

Wie war es, mitten in der Corona-Pandemie zu gründen?

Katrin Niesen: Das war tough, weil wir ja nicht vorhersehen konnten, was das insgesamt bedeutet. Der Lockdown selbst war für mich eher produktiv: Ich habe die Zeit genutzt, um an meinem Buch zu schreiben. Maike hingegen hatte mit drei Grundschulkindern zu Hause eine ganz andere Herausforderung.

Maike Bischoff: Rückblickend weiß ich nicht, wie wir das geschafft haben. Aber genau das hat gezeigt, dass man Krisen meistern kann. Nach dem Motto: „Keep going, keep growing“.

Ihr habt in einem Alter gegründet, in dem viele auf Sicherheit setzen. Welche Herausforderungen oder vielleicht auch Vorteile gab es – und welche Tipps würdet ihr anderen geben?

Katrin Niesen: Die beste Zeit, sich selbstständig zu machen, ist immer jetzt. Für mich war irgendwann klar: Ich will anders arbeiten. Ich kann nicht sagen, dass da eine Hürde war. Der Wunsch nach mehr Flexibilität und Eigenverantwortung hat bei uns beiden alles andere überstrahlt. Mit Ü40 oder Ü50 haben wir auch den Vorteil, dass wir ein gutes Netzwerk haben, unsere Werte kennen und wissen, worauf es ankommt. Diese Klarheit macht und effizient und erfolgreich.

Habt Ihr einen weiblichen Blick auf Eure Projekte? Designen Frauen anders?

Maike Bischoff: Pauschalisieren kann man das nicht. Aber Frauen bringen oft eine andere Perspektive mit – besonders im Umgang mit Kunden und Teams. Unsere Stärke liegt im Zuhören und im Wahrnehmen von Zwischentönen.

Habt ihr ein Lieblingsdesign bzw. eine Lieblingsmarke für die ihr gern mal arbeiten würdet?

Katrin Niesen: Ein Herzensprojekt wäre für mich Faber Castell. Ich sehe da noch so viel ungenutztes Potential, besonders wenn ich mir internationale Art Brands anschaue, gerade im Luxussegment.

Maike Bischoff: Für mich sind es oft Designs, die durch ihre Einfachheit und Funktionalität überzeugen. Ich bewundere Marken, die es schaffen, über Jahrzehnte konsistent zu bleiben und trotzdem immer relevant zu wirken. Ein Beispiel ist Apple – besser kann man die eigene Positionierung nicht in Ästhetik übersetzen. Die Klarheit, mit der alles zusammen funktioniert, finde ich beeindruckend. Auch im Bereich nachhaltiges Design gibt es tolle Projekte, die mich inspirieren, etwa Packaging- Designs, die komplett recycelbar sind, ohne an Attraktivität zu verlieren.

Welche Marke braucht Eurer Meinung nach einen dringenden Turnaround?

Katrin Niesen: Die katholische Kirche.

Wie schaltet ihr nach einem langen Arbeitstag ab?

Maike Bischoff: Mein Hof ist mein Kraftort. Mit drei Kindern, zwei Hunden und drei Pferden ist es zwar alles andere als ruhig, aber genau das erdet mich.

Katrin Niesen: Mein täglicher Spaziergang mit meinem Hund bringt mich runter, aber wirklich abschalten kann ich beim Malen – ohne Vorgaben, ohne Druck, einfach frei gestalten.

Wo seht ihr Das Kreative Studio in fünf Jahren?

Maike Bischoff: Wir wollen weiterwachsen, aber mit Fokus auf Werte und Nachhaltigkeit. Unser Ziel ist es, ein starkes Team aus Spezialisten zu bleiben, die erfolgreich zusammenarbeiten. Langfristig denken wir auch an eine organische Nachfolge – die nächste Generation soll unser Studio übernehmen können.

Katrin Niesen: Gleichzeitig wollen wir immer ein Ort bleiben, an dem Mitarbeitende sich entwickeln können. Und natürlich wollen wir weiterhin unseren Kunden helfen, ihre Marken langfristig erfolgreich zu machen.

Über Das Kreative Studio
Das Kreative Studio ist eine inhabergeführte Branding-Agentur aus Hamburg, spezialisiert auf authentische Markenentwicklung. Gemäß ihrer Philosophie „Simplify – Amplify“ (zu Deutsch: Vereinfachen – Verstärken) kombinieren Katrin Niesen (54 Jahre) und Maike Bischoff (49 Jahre) gemeinsam mit ihrem Team strategische Beratung und kreatives Design, um Marken langfristig zu stärken. Gegründet 2020 in der Corona-Krise, hat sich das Studio als Partner für Mittelstand, Traditionsunternehmen und Start-ups etabliert.