Raafey: Der deutsche Anime-Botschafter

Mit insgesamt mehr als 262 Millionen Views ist der YouTuber Raafey der meistgeklickte Anime-Experte für 15 Millionen von deutschsprachigen Genre-Fans. Was als Hobby begann, baute der 25-jährige Herforder schon im ersten Jahr von 2.000 auf 56.000 Abos aus. In seinen Video-Essays lotst er Neulinge und Nerds durch das japanische Kulturphänomen, das mit der Pandemie 2020, in Europa zum plötzlichen Mega-Trend wurde. 10 bis 12 Stunden pro Tag produziert Raafey seine Filmkritiken, um die Vielzahl von Serien, Filmen und Co. humorvoll und nahbar einzuordnen und dem geneigten Publikum näher zu bringen. Der YouTuber wurde so nicht nur für seine wachsende Community zum Taktgeber des wachstumsstarken Anime-Marktes. Über das Kulturphänomen und seinen Botschafter.

Um in der Flut von internationalen Filmen, Serien und Kanälen die perfekte Unterhaltung für die eigenen Vorlieben zu finden, halten sich immer mehr Menschen an Video-EssayistInnen und StreamerInnen. Auf Plattformen wie YouTube oder Twitch boomen Formate, die Serien und Videospiele vorstellen und kommentieren. Der 25-jährige Content Creator Raafey aus Herford ist dabei der Guru der deutschen Anime-Fans. Damit ist Raafey einer der wichtigsten Gatekeeper und Insider der Szene, der wesentlich dazu beträgt, dass der Trend in Deutschland immer mehr Fahrt aufnimmt.

Influencer wie Raafey sind in ihrer Rolle im ersten Schritt der Große-Bruder im Netz, dem man beim Gamen oder Fernsehen zusehen, sich an seinen Empfehlungen orientieren und über seine nischigen Witze lachen kann – vor allem ist er aber ein entscheidender Katalysator für die Verbreitung des neuen Mega- und Medientrends. Mit seinen Filmkritiken vereinfacht Raafey den Zugang zu den komplexen Animationsfilmen im Manga-Style für von westlichen Narrativen geprägte Zuschauer, indem er Handlung und Charaktere einordnet.

Die Watchtime von mehreren tausend Stunden pro Monat zeugt vom Erfolg dieses modernen Phänomens. Beim Essen, Zähneputzen und selbst zum Einschlafen konsumieren Zuschauer:innen den Content ihrer Lieblings-Influencer:innen – diese Erfahrung macht auch Raafey beinahe tagtäglich. „Bei einem Meet and Greet sagte mir ein Fan, dass er ohne mich nicht mehr essen kann“, erinnert sich Raafey. „Das ist ein krasses Kompliment, denn es zeigt, wie präsent mein Content, wie präsent ich im Alltag meiner Follower bin. Ich gehöre irgendwie dazu, das weiß ich zu schätzen.“

Perfektionistisch wie ein Mangaka

Seit acht Jahren lädt Raafey regelmäßig seine Video-Essays auf YouTube hoch. Acht Jahre ohne Shitstorm und Skandale, einfach nur Animes – gesprenkelt mit Fußball-Allegorien und Meme-Humor. Er bespielt zwei YouTube-Kanäle, streamt regelmäßig auf Twitch und interagiert mit seinen Followern in den sozialen Medien. Bis heute konzipiert, filmt und schneidet er täglich sein Videomaterial selbst, baut aufwendigen Meta-Humor ein und schaut weitere Serien für neue Rezensionen und andere Formate.

Raafey beschreibt sich als Perfektionist, für ein 40-minütiges Video benötigt er etwa 5 Arbeitstage à 10 bis 12 Stunden. Sein Vorbild: Die Arbeitsweise der Mangaka, also der Autoren bzw. Zeichner der Bildbände. „Das sind Menschen, die ihr ganzes Leben aufgeben, um diese eine Geschichte zu schreiben – einfach unglaublich“, schwärmt Raafey. So wird beispielsweise dem Autor des weltweit erfolgreichsten Manga One Piece, Eiichiro Oda, nachgesagt, er würde in seiner Arbeitswoche nur drei Stunden schlafen. „Ich würde so gerne einige Mangaka mal persönlich treffen, um mich mit ihnen über ihre Arbeit zu unterhalten“, erzählt Raafey. „Aber sie sind absolute Celebrities und Arbeitstiere, wie die neuen Kaiser von Japan. An sie kommt man kaum heran“.

Im Probejahr zum YouTube-Star

2015 zeigte ihm ein Freund und kleinerer Let’s Player, wie Raafey selbst Videos aufnehmen und im Internet hochladen konnte. „Schon während dem Fach-Abi habe ich mit meinen Anime-Rezensionen so 200 bis 300 Euro im Monat verdient“, meint Raafey. Für den Schritt an die Berufsschule habe er sich ohnehin nur entschieden, weil ein Cousin von ihm es so machte. In dieser Zeit habe ihn auch keines seiner Praktika nachhaltig begeistert. „Ich wollte dann aber nicht mehr einfach irgendeinen Beruf machen. Heutzutage geht es bei dieser Entscheidung viel mehr um Sinn und persönliche Erfüllung und für den richtigen Job war ich auch bereit alles zu geben“, sagt Raafey. „Ich bin damals zu meiner Mutter und meinte ‚Gib mir ein Jahr. Wenn ich es in der Zeit nicht schaffe, bei YouTube durchzustarten, suche ich mir einen richtigen Job‘“. Sie vertraute ihm und gab ihm die Zeit. „Für ihre Unterstützung bin ich ihr unendlich dankbar.“

In der Zeit begann er, rund um die Uhr Content für seine Videos zu produzieren, traf seine Freunde kaum noch und ließ auch seine Leidenschaft für Fußball zurück. Die Mühe zahlte sich aus – nach der vereinbarten Probezeit hatte er bereits eine starke Community und sein Content monetarisierte sich genug, um das Projekt fortzuführen. Bis 2021 produzierte Raafey seine Inhalte, ohne sein Gesicht zu zeigen. „Im Mai 2021 hatte ich dann mein sogenanntes Face Reveal, wo ich mich das erste Mal in der Öffentlichkeit gezeigt habe. Die Aufmerksamkeit hat mir keine Angst gemacht – im Gegenteil: Dadurch habe ich viel mehr Möglichkeiten, um neue Kanäle und Formate auszuprobieren und bin meiner Community näher“, erzählt Raafey.

Coming of Age im Anime-Stil

In der sechsten Klasse, vor Netflix und Co., schaute Raafey die japanischen Serien noch mit Untertiteln auf YouTube und lernte dabei nach eigenen Aussagen mehr Englisch als in der Schule. „Ich habe damals in der Schulzeit oft krank gespielt, damit ich zuhause bleiben und die neusten Folgen schauen konnte“, erzählt Raafey frei heraus. „Heute kann ich das guten Gewissens erzählen, immerhin hat es mich ja hierhin gebracht“. Auch fürs Leben habe er viele Lektionen mitgenommen: „Isekai“-Animes beispielsweise, ein beliebtes Sub-Genre der letzten Jahre, begleiten ihre Protagonist:innen durch ihr Coming of Age in einer parallelen Realität, in der sie sich unvermittelt wiederfinden.

„Viele Anime erzählen davon, wie sich der Hauptcharakter weiterentwickeln, neue Freundschaften schließen und Hindernisse überwinden muss, um vorwärtszukommen. Wie in der echten Welt also. So eine Geschichte in einem so detailverliebten Erzählstil mitzuerleben, hilft vielen jungen Menschen dabei, sich selbst zu finden“, so Raafey. „Wenn Dich die reale Welt überfordert, hilft oft eine fiktionale.“ Über die Jahre sammelte er umfangreiches Wissen über das Anime-Genre, die Zahl der Serien und Titel war schier endlos und war neben Fußball und Freunden ein maßgeblicher Faktor in seinem Alltag.

Mega-Trend Anime

Lange bevor asiatische Filmproduktionen wie EEAAW oder Parasite bei den Oscars abräumten, hatten sich der Manga und sein Bewegtbild-Pendant Anime in die Herzen und Mediatheken von Menschen aus aller Welt geschlichen. Während die Bücher und Filme bis in die Neunziger im deutschen Raum kaum verfügbar waren, gehört heute mindestens ein Comicbook-Store – inklusive weitläufiger Manga-Sektion – zum modernen Stadtbild. Lineares Fernsehen und Streaming-Services machen die verfilmten Streifen dazu leicht verfügbar.

Mittlerweile ist die Leidenschaft für Mangas und Animes kein nerdiges Hobby mehr – seit den Corona-Lockdowns sind sie auch im westlichen Mainstream angekommen. Der sprunghafte Anstieg der deutschen Google-Suchen seit 2020 belegt das immense Interesse an der japanischen Animation. Statistiken zeigen außerdem, dass in Deutschland jeder vierte mindestens einmal einen Anime gesehen hat. Auch in anderen Kultur- und Wirtschaftsbereichen hat der Trend Fuß gefasst: 2021 kooperierte Mercedes Benz mit Attack on Titan, in den Jahren zuvor präsentierten Luxus-Marken wie Moschino und Luis Vuitton ganze Shows mit Entlehnungen aus dem Manga-Kosmos.

Auch die Alltagsmode schöpft zusehends aus den Bildwelten von Anime und Co. – Cosplay ist lange nicht mehr die einzige Form der Umsetzung, Lolita-Kleider und MangaCore sind heute angesagte Fashion-Statements. „Die japanische Kultur, ihre Medienlandschaft und die Philosophien, die damit einhergehen, haben so unfassbar viel zu bieten und werden uns immer öfter im Alltag begegnen“, ist sich Raafey sicher. „Ich freue mich, wenn ich sowohl eingefleischten Fans als auch Newbies das Genre und seine Implikationen näherbringen und sie mit ihnen vertiefen kann.“