Wie eine Tech-Managerin Europas Hochschullandschaft aufmischt

Nach 15 Jahren bei Google und YouTube gründete Céline Boisson ihre eigene Uni – aus Überzeugung, dass Bildung neu gedacht werden muss. Ihr Ziel: Junge Menschen fit machen für eine Welt im Umbruch, in der Künstliche Intelligenz, Klimawandel und kulturelle Vielfalt neue Kompetenzen erfordern. Mit dem Konzept von Forward College setzt sie auf ein einzigartiges Modell zwischen Lissabon, Paris und Berlin, das akademische Exzellenz mit praktischer Erfahrung kombiniert – und begeistert damit auch deutsche Studierende. Im Interview erklärt Boisson, warum klassische Vorlesungen passe sind, wie Vielfalt gelebt werden kann und warum ihr Konzept die Generation Z begeistert.

Frau Boisson, Ihre Karriere begann in der Tech-Branche mit Führungspositionen bei Google und YouTube. Was hat Sie dazu inspiriert, vom Konzern in die Gründung eines eigenen Colleges zu wechseln?

Céline Boisson: Während meiner 15 Jahre in der Tech-Branche bei Google und YouTube habe ich die enormen Veränderungen in der Arbeitswelt hautnah miterlebt. Ich verspürte den dringenden Wunsch, die Hochschulbildung an diese neuen Herausforderungen anzupassen – durch neue Kompetenzen und praxisnahes Wissen. Bildung war schon immer meine Leidenschaft, daher habe ich bei Google („Grow with Google“) und YouTube („YouTube Learning“) mehrere Bildungsprogramme konzipiert und skaliert. Ich wollte meine Erfahrung in Tech und Bildung nutzen, um die immer größer werdende Kluft zwischen Hochschulbildung und Arbeitswelt zu überbrücken.

Welche Erfahrungen aus Ihrer eigenen Ausbildung haben Sie davon überzeugt, dass sich Hochschulbildung verändern muss?

C.B.: Ich bin überzeugt, dass Hochschulbildung sich weiterentwickeln muss, um kritisches Denken, Kreativität und praktisches Wissen zu fördern – Fähigkeiten, die für das komplexe Leben von heute unerlässlich sind.

Sie waren maßgeblich an der Entwicklung von „Grow with Google“ beteiligt, das über eine Million Menschen geschult hat. Wie hat Sie das geprägt?

C.B.: Das europäische Trainingsprogramm „Grow with Google“, bei dem wir innerhalb von zwei Jahren über eine Million Studierende und Kleinunternehmer in digitalen Kompetenzen geschult haben, hat mir noch klarer gemacht: Bildung ist der Schlüssel, wenn wir Menschen auf neue Chancen vorbereiten wollen.

Sie haben Forward College gemeinsam mit Boris Walbaum gegründet. Wie kam es zu dieser Partnerschaft und wie ergänzen sich Ihre Hintergründe?

C.B.: Ich leitete damals Google.org in Frankreich, die gemeinnützige Organisation von Google. Boris war Gründer der NGO Article 1, die sich für Chancengleichheit einsetzt. Uns verband die Vision, Bildung neu zu denken. Als er mir von Forward College erzählte, wusste ich: Jetzt ist der richtige Moment, Google zu verlassen. Unsere unterschiedlichen Erfahrungen – Tech bei mir, Bildung bei ihm – ergeben eine starke Synergie: akademische Exzellenz trifft auf innovative Lösungsansätze.

Welche persönlichen Werte treiben Sie als Unternehmerin an?

C.B.: Neugier, Inklusivität und gesellschaftlicher Impact. Ich möchte Bildung schaffen, die alle ermutigt, ihr Potenzial zu entfalten und zur Gesellschaft beizutragen.

Was macht das Drei-Städte-Modell (Lissabon, Paris, Berlin) so besonders?

C.B.: Das Modell erlaubt es Studierenden, in verschiedenen kulturellen und wirtschaftlichen Umfeldern zu lernen und zu leben. Jede Stadt eröffnet neue Perspektiven – das bereichert nicht nur akademisch, sondern auch persönlich.

Was zeichnet den Berliner Campus besonders aus?

C.B.: Unser Campus befindet sich im Cambridge Innovation Center (CIC) – einem kreativen Hotspot. Hier herrscht eine ganz andere Energie als auf einem traditionellen Campus. Die Startup-Szene, die kulturelle Vielfalt und das Umfeld fördern Innovation und Unternehmergeist.

Worum geht es im dritten Studienjahr in Deutschland?

C.B.: Der Fokus liegt auf Praxis: Projekte, Praktika und Vernetzung mit der Wirtschaft stehen im Vordergrund. Studierende wenden ihr Wissen direkt an und sammeln echte Berufserfahrung.

Mit welchen Unternehmen und Institutionen arbeitet Forward College in Berlin zusammen?

C.B.: Wir kooperieren mit Firmen wie L’Oréal, Henkel und Voltshare sowie mit Bildungseinrichtungen. Diese Partnerschaften bereichern unsere Lehre und eröffnen Praktikumsmöglichkeiten.

Ist es schwer, einen Studienplatz zu bekommen?

C.B.: Ja, auf einen Platz kommen zehn Bewerbungen. Damit zählen wir zu den selektivsten Hochschulen Europas.

Wie läuft das Bewerbungsverfahren ab? Was müssen Studierende mitbringen?

C.B.: Zunächst wird ein Online-Antrag mit Zeugnissen und einem Motivationsschreiben eingereicht. Geeignete Bewerber:innen werden zum Interview eingeladen. Wir suchen nicht nur gute Noten, sondern auch Engagement, Leidenschaft und den Willen, gesellschaftlich etwas zu bewegen.

Eine erste Studierendengruppe hat bereits ihren Abschluss gemacht – wie war deren Erfahrung?

C.B.: Sehr positiv. Viele haben ein Masterstudium an Top-Unis wie LSE, HEC, UCL oder ESCP begonnen. Andere sind direkt ins Berufsleben gestartet – etwa bei L’Oréal, Ernst & Young oder in diplomatischen Einrichtungen.

Welches Studienprogramm ist am beliebtesten – und welches bei deutschen Studierenden?

Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen ist insgesamt das beliebteste Fach – besonders bei deutschen Studierenden, die etwa 15 % ausmachen. Aber auch Psychologie und Betriebswirtschaft erfreuen sich großer Beliebtheit.

Wie hoch ist der Frauenanteil bei Ihnen?

C.B.: Etwa 60 % unserer Studierenden sind weiblich – ein Beweis für unser Engagement für Geschlechtervielfalt.

Wie kann Bildung globale Herausforderungen wie Klimawandel oder digitale Ethik adressieren – und wie setzt Forward College das um?

C.B.: Bildung ist der Schlüssel zur Lösung dieser Herausforderungen. Wir integrieren Ethik und Nachhaltigkeit über projektbasiertes Lernen. Unsere Studierenden entwickeln konkrete, verantwortungsvolle Lösungen.

Welche Fähigkeiten brauchen künftige Führungskräfte angesichts von KI und Automatisierung?

C.B.: Anpassungsfähigkeit, Neugier, Resilienz und kritisches Denken sind essenziell, um sich in einer ungewissen Arbeitswelt zurechtzufinden.

Sie kennen Generation Z gut – was erwartet diese Generation von Bildung, was frühere Generationen nicht taten?

C.B.: Generation Z wünscht sich personalisiertes Lernen, gesellschaftlichen Mehrwert und Flexibilität. Sie wollen Erfahrungen machen, die zu ihren Interessen und Lebenszielen passen.

Wie sieht ein typischer Tag am Forward College aus – was erleben Studierende hier anders als anderswo?

C.B.: Workshops, Diskussionen und praxisnahe Projekte prägen den Alltag. Unsere Community ist lebendig, kreativ und kooperativ – weit weg vom Frontalunterricht.

Wie geht Forward College über leere Diversity-Versprechen hinaus? Gibt es finanzielle Unterstützung?

C.B.: Wir handeln konkret: Wir fördern Diversität aktiv durch gezielte Rekrutierung und ein offenes Curriculum. Finanzielle Hürden senken wir mit Studienkrediten, Teilzeitjobs und Partnerprogrammen.

Für wen ist Forward College nicht geeignet?

C.B.: Für Menschen, die traditionelle Vorlesungen und ein festes Lernschema bevorzugen. Unser Modell verlangt Eigeninitiative, Anpassungsfähigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen. Wer nicht bereit ist, jedes Jahr in eine neue Stadt zu ziehen, wird sich schwertun – denn unsere Studierenden begeben sich auf eine echte Reise.

Über Céline Boisson
Céline Boisson ist Französin und stammt aus Paris. Sie arbeitete 15 Jahre lang bei Google und YouTube, mit Stationen in Paris, London und San Francisco. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Lissabon, wo sie seit sechs Jahren ihren Lebensmittelpunkt hat. Boisson ist Mutter von drei Kindern. Als begeisterte Natursportlerin widmet sie sich in ihrer Freizeit Aktivitäten wie Klettern, Wandern, Surfen und Skifahren. Forward College ist für sie auch ein persönliches Herzensprojekt: Gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester, die nach zehn Jahren in Australien ebenfalls nach Lissabon gezogen ist, treibt sie die Entwicklung des Bildungsprojekts voran.