Das Passauer Corporate Startup Educatio will Fahrschulen und -schülern ganz neue Wege eröffnen: Mit Dreiv holt das Edtech das Theorielernen ins 21. Jahrhundert. Das Konzept von Educatio fußt auf den Erfahrungen des ungarischen Mutterkonzerns und Marktführers Nexius Learning. Dessen Programm bringt seit 2010 jährlich mehr als 100.000 Führerscheinanwärter durch die Prüfung und multipliziert die Margen der Kleinunternehmen um das Zwei- bis Siebenfache. Für den deutschen Markt hat Educatio mit Dreiv eine eigene Lösung maßgeschneidert. Aktuell nutzen hier rund 100 Fahrschulen das Tool. Auch für Schüler setzt das Startup den Blinker auf Zukunft: Die interaktiven Selbstlerninhalte sind niedrigschwellig und inklusiv, um eine Trendwende bei den immer weiter ansteigenden Durchfallquoten zu bewirken. „Seit Jahrzenten plagen die Branche dieselben Probleme: Zeitdruck und schlechte Lernerfolge. Dreiv kann helfen“, so Geschäftsführer Gábor Faragó. Für sein Team konnte er nicht nur den TÜV Süd-Manager Oliver Frey gewinnen, sondern auch Experten aus der Verkehrspädagogik und der Verbandsarbeit.
In den letzten Jahren sind immer mehr Fahrschulen in Deutschland von der Landkarte verschwunden. Gründe dafür liegen im Fachkräftemangel und der Altersstruktur. Fahrlehrer und Fahrschulbetreiber gehen immer häufiger in Rente, ohne dass Nachwuchs parat steht. Gleichzeitig können Teams nicht in dem Maße aufstocken, wie Bedarf und Wartelisten anwachsen. Um diese Lücken zu schließen, werden neue Unterrichts- und Lernkonzepte heiß diskutiert und vor allem dringend benötigt. Denn in den vergangenen 50 Jahren wurde nur wenig Neues ausprobiert, um das Potenzial der Digitalisierung – wie in vielen anderen Bildungsbereichen auch – voll auszuschöpfen. Während die Pandemie in Teilen die Vorteile von Online-Unterricht aufzeigte, offenbarte sie bei vielen Fahrschulen eine ungenügende Infrastruktur.
Deutschland steht da, wo Ungarn vor 10 Jahren stand
Der Druck auf die Branche beeinflusst auch die Qualität der Ausbildung: Laut einer aktuellen Studie des Kraftfahrtbundesamtes fielen 2020 in Deutschland durchschnittlich 34 Prozent der Fahrschüler durch die theoretische Prüfung. Das bedeutet nicht nur Frust bei Betroffenen, sondern auch einen Dämpfer für die Wirtschaftlichkeit. „Wir haben uns die Situation der Fahrschulen in Deutschland genau angeschaut und viele Parallelen zum ungarischen System gefunden. Allerdings mit dem System von vor 10 Jahren“, erklärt Faragó, der im Auftrag der Edtech-Gruppe Nexius Learning die Chancen und Defizite des Marktes sondierte. Der Konzern mit Sitz in Budapest beschäftigt ein 700-köpfiges Team und begleitet jährlich mehr als 100.000 Schülerinnen erfolgreich durch die Prüfung.
Fahrschulen wettbewerbsfähig machen
Das ungarische Vorbild, die Lernsoftware EduKRESZ, hat gezeigt, dass Abläufe wesentlich besser gestaltet werden können. Das asynchrone E-Learning spart Zeit, senkt Kosten und steigert die Gewinne. Gleichzeitig macht es das Lernen flexibler und sorgt für Motivation. „Wo Schüler ohne Reibung durch die Theorieprüfung kommen, werden weniger Ressourcen benötigt“, so Faragó. Doch während EduKRESZ ein reines Tool für asynchronen Theorieunterricht ist, welches das Lernen in der Fahrschule vor Ort komplett ersetzt, sieht Educatio eine solche Lösung nicht für den deutschen Markt. „Wir nutzen aber unser Know-How, wie man gutes E-Learning baut, um für Deutschland ein spezielles Blended-Learning-Setting anbieten zu können“, so Faragó.
Know-How aus Politik und Pädagogik
Im April 2021 gründete Faragó in Passau Educatio Digitale Lernsysteme als Corporate Startup von Nexius – mitten im Corona-Lockdown. Die Auswahl des Teams fand über Videocalls und Telefon statt. „Das war ungewohnt, aber es hat mir auch die Chance gegeben, Experten nicht nach ihrem geographischen Standort, sondern allein nach ihren Fähigkeiten auszusuchen. Wir sind dadurch fachlich unheimlich stark aufgestellt. Und ein Paradebeispiel für New Work!“ Die gemeinsame Vision hält das junge Team dabei zusammen.
Educatio setzt sich zusammen aus erfahrenen Branchen-Insidern sowie Experten aus der Verkehrspädagogik und der Verbandsarbeit. Ehemalige Fahrlehrer und Mitglieder der Deutschen Fahrlehrerakademie, berieten bei der Produktentwicklung und gestalteten als Autoren die Lerninhalte aktiv mit. Geschäftsleiter Oliver Frey war 16 Jahre lang im Management des TÜV Süd tätig und ebenfalls Fahrlehrer: „Ich kenne den gesamten Ausbildungs- und Prüfungsprozess. Dieser ist aus meiner Sicht nicht zukunftsgerecht.“
Selbstlernsystem abgestimmt auf den Präsenzunterricht
Dreiv basiert auf sogenanntem Blended Learning, es unterstützt also Fahrschüler beim Selbststudium daheim und ergänzt damit den klassischen Theorieunterricht in den Fahrschulen. Weite Teile des Wissenstransfers können mit Dreiv digital ausgelagert werden. Das hält Fahrlehrerinnen den Rücken frei, während im Präsenzunterricht mehr Zeit für den Austausch und Rückfragen bleibt. „Unser Ziel ist natürlich, Fahrschüler erfolgreich durch die Theorieprüfung zu bringen. Aber wir wollen auch noch einen Schritt weiter gehen und dafür sorgen, dass sie die Materie auch wirklich durchdringen. Echtes Verstehen entlastet auch die Praxis“, so Frey.
Weg mit den Hürden
Eine besondere Bedeutung kommt den Dreiv-Versionen auf Hocharabisch, Türkisch, Russisch und Englisch zu. Denn theoretisch können Führerscheinprüfungen in Deutschland auf vielen Sprachen abgelegt werden. Praktisch fehlen hierfür aber die geeigneten Lehrmittel.
Im Jahr 2020 wurden immerhin 15% aller Theorieprüfungen auf einer Fremdsprache durchgeführt. Jedoch bieten nur 5% der Fahrschulen ihren Theorieunterricht auch tatsächlich in Fremdsprachen an. Materialien müssen umständlich besorgt werden und sind oft mangelhaft. Nicht-Muttersprachler fallen dadurch überproportional häufig durch die Prüfung – eine eindeutige Benachteiligung und Lücke im System, die Betroffenen nicht nur Mehrkosten aufbrummt, sondern auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert. Für viele Jobs in Deutschland ist der Führerschein nach wie vor eine Grundvoraussetzung.
Digitaler Wandel bringt die Branche in die Spur
Rund ein Jahr nach der Gründung testen deutschlandweit rund 100 Fahrschulen die digitale Lernplattform des Passauer Startups. Das nächste Ziel ist gesteckt: Für 2022 strebt Educatio die feste Zusammenarbeit mit 100 bis 150 Fahrschulen an. „In einem bevölkerungs- und einwanderungsstarken Land wie Deutschland steckt viel Potenzial in den noch vernachlässigten Schülergruppen, die durch Zeitdruck oder eine Sprachbarriere Nachteile haben und damit dem größten Risiko ausgesetzt sind, durch die Prüfung zu rasseln“, sagt Geschäftsleiter Oliver Frey.
Aktuell gehe es für Educatio nicht nur darum, Dreiv sichbar zu machen, sondern auch das politische Momentum zu nutzen. Der Diskurs über Aufgabenstellung und Verantwortung der Digitalisierung ist seit der Pandemie auch in der Fahrschulbranche angekommen und bewegt sich im kommenden Jahr auf eine regulatorische Novelle zu. „Wir wollen hier eine Stimme sein und unsere Erfahrungen aus Ungarn und Deutschland in die Gespräche miteinfließen lassen“, so Faragó.
Die Köpfe hinter Educatio:
Gábor Faragó, Gründer und Geschäftsführer: Betriebswirt, Studium in Budapest und Passau; vor Educatio im Business Development in der Verpackungsindustrie
Oliver Frey, Geschäftsleitung und Herausgeber: Wirtschaftspsychologe, ehem. Fahrlehrer (12 Jahre), ehem. Manager bei TÜV Süd (16 Jahre)
Alexander Walter, Leiter Vertrieb und Experte in der Markteinführung von digitalen Fahrschulprodukten
Andreas Schwarz, Senior Berater: ehemaliger Fahrlehrer (33 Jahre), Präventologe und Trainer in der Stressbewältigung