„Wir müssen jetzt den Blinker auf Zukunft setzen“

Das Unternehmen Educatio Digitale Lernsysteme denkt mit seiner Marke Dreiv das Pauken für den Führerschein neu, verbessert die Bestehensquote für Einwanderinnen und Einwanderer und will Fahrschulen bei der Digitalisierung sinnvoll unterstützen. Der Handlungsbedarf ist akut.

Ahnungslose FührerscheinanwärterInnen, von Jahr zu Jahr steigende Durchfallquoten und gestresste FahrlehrerInnen: Die Branche steckt in einem Spannungsfeld, das besonders kleine Fahrschulen in ihrer Existenz bedroht. Ein Startup macht mit digitalen Lösungen für das Selbstlernen die Straße frei für ein neues Zeitalter in deutschen Fahrschulen. Oliver Frey, Geschäftsleiter Dreiv, stellt das Spin-off des erfolgreichen Lernsystem-Pioniers Educatio aus Ungarn vor und spricht über die drängendsten Probleme der Branche.

Herr Frey, Sie waren 12 Jahre lang selbst Fahrlehrer. Wie sind Sie bei Dreiv gelandet?

Frey: Ich war 16 Jahre im Management von TÜV Süd und kenne damit den gesamten Ausbildungs- und Prüfungsprozess. Und dieser ist aus meiner Sicht nicht zukunftsgerecht. Das Lernverhalten der jungen Leute hat sich verändert. Als ich von Dreiv erfahren habe, war ich vom Lernansatz direkt begeistert. Damit war der erste Schritt schon getan. Das inspirierende Team und die hohe Kompetenz für digitale Lernsysteme haben mich dann endgültig überzeugt, mit einzusteigen.

Was sind die größten Probleme der Branche?

Frey: Die Durchfallquoten steigen von Jahr zu Jahr, gerade Menschen mit Migrationshintergrund fallen häufig durch. Die FahrlehrerInnen sind zunehmend gestresst und haben den Eindruck, in den Praxisstunden bei null zu beginnen. Gleichzeitig sind die Wartelisten extrem lang – ganz besonders seit Corona. Wir müssen deshalb jetzt dringend den Blinker auf Zukunft setzen. Ein weiterer Punkt ist die Ausnahmeregelung seit der Pandemie, die Onlineunterricht erlaubt. Digital zu denken ist gut, doch aktuell haben vor allem die kleinen Fahrschulen Angst, dass ein paar große Onlineanbieter Hunderte von SchülerInnen gleichzeitig abfrühstücken werden. Dadurch fühlen sie sich bedroht, denn der Präsenzunterricht ist eine wichtige Einnahmequelle von Fahrschulen. Wir glauben, dass es nicht gut ist, wenn wenige große Player den Onlineunterricht bestreiten und der Praxisunterricht abgekoppelt davon stattfindet. Die aktuell diskutierten Blended Learning-Ansätze, also Kombinationen aus Unterricht und Selbstlernen, finden wir sehr spannend. Die Digitalisierung bietet verschiedene Modelle, die kleine Fahrschulen genauso effizient einsetzen können, wie große.

Warum ist es wichtig, dass Fahrschulen mit digitalen Lerninhalten unterstützt werden?

Frey: Fahrschulen sind seit Jahrzehnten auf der gleichen Denkautobahn unterwegs. Viele FahrlehrerInnen haben mittlerweile erkannt, dass das Wiederholen von Prüfungsfragen allein nicht ausreicht. Die Entwicklung von praxisnahen Verkehrskompetenzen soll im Mittelpunkt stehen. Dafür bieten digitale Lernsysteme heute hervorragende Möglichkeiten, die gleichzeitig sehr motivierend für junge Leute sind. Wie auch das Arbeiten und Kommunizieren in kleinen Gruppen.

Durch das Selbstlernen unterstützen Sie auch den Unterricht. Wie geht das?

Frey: Das wird durch das sogenannte Blended Learning möglich – also eine Kombination aus einem tollen Unterricht, wo an Stelle von Faktenwissen vor allem praxisnahe Kompetenzen vermittelt werden, sowie vielfältige Medien und Inhalte für das Vertiefen daheim. Dreiv bringt das mit 2.000 Abbildungen, 500 interaktiven Aufgaben, 400 Videos und Animationen auf die Straße.

Was unterscheidet das System von Dreiv von anderen Apps und Co.?

Frey: Bei uns geht das Verstehen vor dem stumpfen Auswendiglernen. Bestehende Systeme werden von FahrschülerInnen in der Regel zum Auswendiglernen der Prüfungsfragen genutzt. Wir glauben aber, dass Menschen, die den Führerschein machen und sicher im Straßenverkehr navigieren möchten, besser vorbereitet sein müssen. FahranfängerInnen sollten ein Verständnis für die Zusammenhänge entwickeln und echte Kompetenz erwerben – weg vom rein deklarativen Wissen, hin zu prozeduralem Wissen.

Was ist das Ziel von Dreiv?

Frey: Wir möchten Fahrschulen sinnvoll bei der Digitalisierung ihrer Theorieausbildung unterstützen. Für die FahrschülerInnen wünschen wir uns bessere Inhalte für mehr Motivation und Wissenstransfer und in Folge höhere Bestehensquoten bei den Prüfungen. In Deutschland gibt es rund 10.000 Fahrschulen. Jede Woche steigen neue Fahrschulen auf das Dreiv Lernsystem um. Diese Entwicklung wollen wir weiter beschleunigen. Es ist unser Ziel, dass wir ab 2022 nicht mehr von der Landkarte wegzudenken sind und unser Wachstum deutlich aufs Gas drückt.

Welche Neuheiten stellen Sie auf der Fachmesse in Berlin vor?

Frey: Im Januar erscheinen unsere interaktiven Module auf Hocharabisch, Türkisch, Russisch und Englisch – der komplette Stoff, nicht nur die Prüfungsfragen! Diese wollen wir natürlich zeigen. Der Bedarf ist riesig.

Warum sind Materialen auf Hocharabisch, Russisch und Englisch so wichtig?

Frey: Über 200.000 Männer und Frauen machen in Deutschland jährlich ihren Führerschein, für die Deutsch eine Fremdsprache ist. Theoretisch kann man in vielen Sprachen seinen Führerschein machen, aber ohne entsprechende Lernangebote ist das sehr herausfordernd. Dazu kommt die Präsenzpflicht von 14 Doppelstunden, die in 95 Prozent der Fälle auf Deutsch gehalten werden – ob es nun ein Drittel der Klasse nicht versteht, bleibt unbeachtet. Betroffene können bisher nur auf die erwähnten Apps zurückgreifen, in denen Prüfungsfragen immer wieder wiederholt werden.

Wie sind die aktuellen Bestehensquoten bei Fahrprüfungen?

Frey: Der Bundesdurchschnitt liegt bei 65 Prozent, bei MigrantInnen bzw. Menschen, für die Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, deutlich darunter. Da hat die Branche noch eine Riesenaufgabe vor sich.